Teil 3 | Einsatz digitaler Technologien "nach bestem Wissen und Gewissen"

by digit.social
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Teil 3 | Einsatz digitaler Technologien "nach bestem Wissen und Gewissen"

Die von Silvia Staub-Bernasconi beschriebene Kurzformel des dritten Mandats, nämlich das Handeln nach "bestem Wissen und Gewissen" (Staub-Bernasconi, 2018, 114) ist nicht nur für das analoge Alltagshandeln von Sozialarbeitenden zentral, sondern lässt sich auch auf die Digitalisierung anwenden. Nehmen wir die Zweiteilung aus Wissenschaftsbasierung (Wissen) und Ethikbasierung (Gewissen; hier vor allem bezüglich eines ethischen Umgangs mit dem Recht auf Privatheit) und übersetzen sie auf unser digitales Alltagshandeln in der Sozialen Arbeit lassen sich (nicht abschließend) vier Grundbedingungen finden, die wir als Grundlage setzen können, wenn wir die digitale Welt nutzen wollen.

Bedingung 1: Datenminimierung

Wir müssen folgendes bedenken: Jede Information, die wir digitalisieren, liegt anschließend digital vor. Logisch. Das hat viele Vorteile: Datenbanken können angelegt und durchsucht, Texte verfasst und schnell abgeändert werden, usw. Dennoch: Wir sollten uns stets überlegen, welche Daten tatsächlich erhoben werden müssen, um ein bestimmtes Problem, einen bestimmten Bedarf zu bearbeiten und ebenso wie diese gespeichert werden sollten. Für personenbezogene Daten gilt es bspw. zu fragen: Muss der Klarname erhoben werden oder reicht auch ein Synonym? Welche Daten können sogar anonymisiert erhoben werden? Je weniger Daten erhoben werden, desto geringer ist die Gefahr, dass diese missbräuchlich genutzt werden.

Das gilt übrigens für die Nutzung aller informationstechnischer Dienstleistungen wie Messenger, Soziale Netzwerke, Foren, Webseiten, usw. Es macht Sinn, sich immer wieder die Frage zu stellen, ob Dienst XY zwingend meinen Klarnamen, meine Telefonnummer oder mein Geburtsdatum braucht. Es macht ebenso Sinn, sich die Frage zu stellen, ob man verpflichtet ist, die richtigen Daten anzugeben oder ob es auch ein Pseudonym tut.

Bedingung 2: Kryptografie

Um es ganz deutlich zu sagen: Sozialarbeitende müssen lernen, Daten zu verschlüsseln. Es ist nicht hinzunehmen, dass Sozialarbeitende unverschlüsselt mit Klient:innen, Netzwerkpartner:innen, Jugendamt oder Jobcenter kommunizieren. Allein Metadaten (also wer kommuniziert wann wo mit wem) reichen aus, um ein aussagekräftiges Netzwerk über das Sozialgefüge einer Person anzulegen. Unverschlüsselte E-Mails und Messengernachrichten werden im Klartext über das Netz verschickt. Dies ist vergleichbar mit einer Postkarte, auf deren Informationen jede Person Zugriff hat, die mit ihr in Berührung kommt. Und da Kommunikation über wesentlich mehr Knoten im Internet läuft, als im einfachen Sender- und Empfängerprinzip, müssen wir zwangsläufig lernen, wie das geht. Aber auch auf Arbeitsrechnern oder Servern müssen Daten verschlüsselt gesichert werden.

Praxis-Tipp:

Bedingung 3: FLOSS - freie Software für eine freie Gesellschaft

FLOSS (free, libre, open source software) ist freie Software. Dabei ist frei nicht nur im Sinne von kostenlos zu verstehen, sondern ebenfalls im Sinne von Freiheit. Open bedeutet, dass der Quellcode (also der menschenlesbare Teil der Software) von kompetenten Menschen gelesen, verstanden, ergänzt oder abgeändert werden kann. FLOSS ist nicht zwangsläufig "sicherer" als closed oder proprietäre Software. Allerdings fallen Sicherheitslücken oder eingebaute Hintertüren gegebenenfalls schneller auf und können auch schneller gefixed werden. (Siehe auch "Wann kann man Software guten Gewissens empfehlen", Kuketz, 4.4.19)

Es gibt zudem auch einen ethischen/gemeinwohlorientierten Grund für den Einsatz von FLOSS. Er heißt: public money - public code und bedeutet nichts anderes, als dass staatlich bzw. durch das Gemeinwesen finanzierte Software stets FLOSS und nicht Softwarekonzernen zu Gute kommen sollte, die ihre Software closed source bzw. proprietär verkaufen:


Kleines Beispiel: Allein 2017 haben Bundesbehörden 74 Mio. Euro für Lizenzen von Microsoft-Produkten ausgegeben. Würde dieses Geld in die Entwicklung von FLOSS gesteckt, würden alle Steuerzahler immer wieder davon profitieren, weil der Quellcode dieser Software nicht nur frei zugänglich, sondern auch anpassbar und erweiterbar ist. In der Wikipedia gibt es eine lange Liste mit Beispielen für Open-Source-Software in öffentlichen Einrichtungen. Der Problematik, warum öffentliche Einrichtungen noch nicht komplett auf FLOSS umgestiegen sind, geht das Journalistenteam "investigate europe" in der eindrücklichen und sehr empfehlenswerten Dokumentation "Das Microsoft-Dilemma" nach. Ebenso empfehlenswert ist die Dokumentation "Software Rebellen - Die Macht des Teilens" (F, 2018) von Philippe Borrel (Link zur Arte-Seite).

Praxis-Tipp:

  • Linux statt Windows auf den Arbeitsrechnern (Einfach mal bei der Geschäftsleitung anfragen, wie viel Geld jährlich in Software-Lizenzen fließt)
  • LineageOS statt Android auf dem Smartphone (Anleitung)
  • Wenn im Beruf ein FLOSS-Betriebssystem (OS) nicht in greifbarer Nähe ist, wenigstens FLOSS als Anwendungssoftware einsetzen, bspw.:

Bedingung 4: Dezentrale Dienste nutzen - Zentralisierung misstrauen

Das Internet macht es möglich, dass abertausende von Computern miteinander kommunizieren können, ohne, dass es eine Zentrale gibt, die alles steuert. Das Internet ist also die dezentrale Struktur schlechthin. Ähnliche dezentraler Dienste sind bspw. E-Mail: Jede:r hat seine E-Mail-Adresse bei einem anderen Anbieter und dennoch können alle miteinander kommunizieren, weil der Dienst E-Mail (genauer: POP3/IMAP/SMTP) einen gemeinsamen Kommunikationsstandard nutzt. Diese Dezentralisierung hat den Vorteil, dass nicht ein Anbieter das Monopol für einen Dienst hat und dadurch Macht über den Dienst besitzt. Ein weiterer Vorteil ist, dass im Falle eines Ausfalls der Infrastruktur eines Anbieters, andere Anbieter dennoch funktionieren. Und: Jede:r kann sich eine Instanz erstellen, mit der er sich ins bestehende Netzwerk einklinkt und wird damit Teil eines größeren Netzwerks. Aus Sicht der Sozialen Arbeit ist Dezentralisierung also ein Paradebeispiel für Partizipation und Inklusion.

Anders ist das bei zentralisierten Diensten, auch "gated communities" oder "walled gardens" genannt. Eine eingeschlossene Gemeinschaft wie bspw. facebook ermöglicht nur den Personen, die bei facebook sind, miteinander zu kommunizieren. Andere, die bspw. diesem Anbieter misstrauen oder eine eigene Instanz aufsetzen wollen, haben keinen Zugang zur Gemeinschaft. Besonders inklusiv sind zentralisierte Dienste also nicht. Im Gegensatz, sie schließen aus und funktionieren nur durch sozialen Druck. Deshalb sind trotz aller Datenskandale der letzten Jahre, auch noch so viele Menschen bei facebook oder WhatsApp aktiv oder zumindest angemeldet.

Übrigens: Auch die meisten Cloud-Dienste wie dropbox oder jene von google sind zentralisierte, kommerzielle Dienste, denen wir oft unreflektiert unsere Daten anvertrauen. Der Begriff "Cloud" suggeriert dabei eine nette Wolke im Internet, die irgendwo herum schwebt, und in die wir schnell die Daten von einem Gerät hineinschieben können, um sie von einem anderen Gerät wieder empfangen zu können. Aber: Es gibt keine Cloud. Es gibt lediglich Computer, die anderen Personen oder Unternehmen gehören.

Praxis-Tipp:

  • Gesundes Misstrauen gegenüber zentralisierten Diensten haben. Machtverhältnisse existieren auch digital.
  • Alternative Soziale Netzwerke im Fediverse bzw. der Federation nutzen:
  • Messengerdienste gibt es auch dezentral:
    • XMPP/Jabber
    • Briar
  • Eigene Instanzen von Services hosten. Dann bleiben die Daten dort, wo sie hingehören. Beim Träger oder der Privatperson. Bspw.:
Literatur

Staub-Bernasconi, S. (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft: soziale Arbeit auf dem Weg zu kritischer Professionalität. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Ausgabe. Opladen Toronto: Verlag Barbara Budrich.