Kinder- und Jugendschutz im Netz: Digitale Mündigkeit statt Restriktion

by digit.social
9 Minuten
Kinder- und Jugendschutz im Netz: Digitale Mündigkeit statt Restriktion

Durch die Vorbereitung eines Referats zum Thema "Offene W-LANs in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe", bei dem ich den Fokus auf Freifunk legen wollte, bin ich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen des Kinder- und Jugendschutzes gestoßen. Erste Erkenntnisse und Gedanken zum Thema möchte ich in diesem Beitrag beschreiben.

Rechtliche Grundlage: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)

Der Bereich der digitalen Medien wird nicht durch das Kinder- und Jugendschutzgesetz geregelt, sondern durch den ergänzenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Für das Thema Offene W-LANs und Freifunk sind besonders §5 und §3 JMStV von Interesse:

Auszug aus §5 JMStV:

(1) Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugend-
lichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu
beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, 
dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht 
wahrnehmen.
[...]
(3) Der Anbieter kann seiner Pflicht aus Absatz 1 dadurch entsprechen, dass er
1. durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder 
oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert oder
2. die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählt, 
dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe üblicherweise die Angebote 
nicht wahrnehmen.

Auszug aus §3 JMStV:

Im Sinne dieses Staatsvertrages sind
    2. "Anbieter" Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien. 

Sollten Einrichtungen der Jugendhilfe (also bspw. Offene Kinder- und Jugendtreffs bzw. Jugendfreizeitzentren) als "Anbieter" nach §3 JMStV gelten, so sind sie nach §5 verpflichtet, die Angebote entweder zeitlich zu beschränken (was bspw. der Idee, Freifunk vor allem zur Öffnungszeit zur Verfügung zu stellen, widersprechen würde) oder Sperrmechanismen einzuführen.

Freifunk will allerdings ein freies Netz für freie Bürger sein. Dies schließt Netzsperren grundsätzlich aus. Keine Freifunk-Community würde deshalb Contentfilter in die Firmware einbauen. Freifunker:innen verweisen deshalb eher auf Lösungen, Filter - wenn sie denn schon eingesetzt werden - maximal auf dem Endgerät zu installieren. Also, auf dem Smartphone, dem Tablett oder dem PC.

Aber selbst auf dem Engerät sind Jugendschutzfilter m.E. keine adäquate Methode des modernen Jugendschutzes.

„Der Gedanke Jugendschutz mit Kontrolle durchzusetzen stammt aus einer Zeit, in der das Internet nicht existierte. Die einzigen Medien für Verbreitung von z.B. Pornographie waren VHS Kassetten und Hochglanzmagazine, die Kontrollinstanzen entsprechend schwer zu umgehen. Dies ist aber nicht einfach auf die Technik des Internets übertragbar. [...] Leider stellen Jugendschutzfilter ein System dar, das

  • massive sicherheitstechnische Bedenken und Missbrauchspotential mit sich bringt
  • niemals up-to-date sein kann
  • mit geringem bis gar keinem Verständnis umgangen werden kann
  • eine Kultur der Zensur etabliert“ (Freifunk Nordwest)

Das Problem mit den Filtern

Der Grund für diese Problematik liegt an der technischen Umsetzung der Jugendschutzfilter. Es gibt derzeit zwei Wege:

DNS-Filter: Das Domain Name System ist eines der wichtigsten Dienste in Netzwerken, wie dem Internet. Es übersetzt Domains in IP-Adressen. Heißt: Wenn ich bspw. https://digit.social in die Adresszeile des Browsers eingebe, schaut der Browser oder der Internetprovider auf einem DNS-Server nach und findet die dazugehörige IP-Adresse (185.26.156.86). Das Prinzip lässt sich mit einem Adressbuch vergleichen, in dem den Namen meiner Freunde, ihre Postadressen zugeordnet sind. Ohne Adressen könnte schließlich auch kein Brief ankommen. DNS-Filter funktionieren dann prinzipiell so, dass dem DNS-Server eine Liste als Kontrollinstanz hinzugefügt wird. Blacklists blockieren alle Domainanfragen, die auf der Liste stehen und leiten sie auf unverfängliche Seiten um. Whitelists hingegen lassen nur Zugriffe auf Seiten zu, die auf der Liste stehen. Alle anderen werden umgeleitet.

Probleme:

  • Die verwendeten Listen müssen gepflegt werden und hinken dadurch der schnellen Entwicklung immer hinterher.
  • Anwender:innen solcher Filter müssen jenen vertrauen, die diese Listen erstellen. Immer wieder kommt es vor, dass auch nicht-jugendgefährende Seiten auf solchen Listen landen. Klicksafe nennt vier Grundkonzepte der Klassifizierung: Redaktionelle, Crowdbasierte, Automatische und Selbstklassifizierung.
  • Darüber hinaus: Eingestellte Filter lassen sich mit wenigen Klicks auch von nicht-technik-affinen Menschen umgehen. DNS-Server bspw. lassen sich von Hand direkt am Endgerät ändern, mobile Geräte mit Jugendschutzapps ebenso schnell auf Werkseinstellungen zurücksetzen. Anleitungen finden sich ohne große Mühe im Netz und sollten vor allem unter Jugendlichen schnell die Runde machen.

Content-Filter durchsuchen den Datenverkehr nach Stichworten (Keyword-Blocking) und blockieren diese.

Probleme:

  • Der jeweilige Kontext wird nicht beachtet: Eine Suche nach „Hitler“ kann ebenso im Rahmen einer Hausaufgabe geschehen, „Anal“ kommt auch im Wort Analysieren vor.
  • Anbieter problematischer Inhalte nutzen ebenso Wortneuschöpfungen oder Codes: Aus "Viagra" wird "V1agra“ oder "V!agra"
  • Mittlerweile liegt der meiste Internetverkehr verschlüsselt vor. Um mit Content-Filtern blockieren zu können, müsste der Datenverkehr allerdings lesbar, also unverschlüsselt gescannt werden. Das führt dazu, dass einige Filterprogramme alle verschlüsselten Verbindungen (https://) blocken oder aber ganz zulassen. Im Sinne der Förderung digitaler Mündigkeit und damit des Wissens um die Notwendigkeit von verschlüsselter Kommunikation, ist das Blockieren aller sicheren Verbindungen ein Fehler.
  • Ein Zugriff auf den verschlüsselten Datenverkehr könnte zudem sogar eine Straftat nach §202a StGB sein, in dem der unberechtigte Zugang zu besonders gesicherten Daten als "Ausspähen von Daten" geregelt wird.

Förderung Digitaler Mündigkeit statt Restriktion

Jugendschutzfilter sind also mindestens suboptimal, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Viel sinnvoller wären pädagogische Konzepte, die junge Menschen dazu befähigen, sich in der digitalen Welt souverän zu bewegen. Im Sinne digitaler Mündigkeit bedeutet das die gemeinsame Entwicklung der

Fähigkeit, selbstständig, selbstbestimmt und eigenverantwortlich Entscheidungen in der digitalen Welt treffen zu können.

Das bedeutet für mich, Kinder und Jugendliche altersgerecht an die Chancen und Risiken der digitalen Welt heranzuführen. Es bedeutet, auf Gefahren hinzuweisen und Kinder- und Jugendliche nicht allein zu lassen in der Erkundung der digitalen Welten, sondern sie konsequent und kompetent zu begleiten. Vorstellbar sind hier Workshops mit einerseits technischer und andererseits ethischer Ausrichtung. Bspw. zur Funktion von Netzwerken, zu Freiheitsrechten oder Diskussionen über Pro-und-Contra Netzsperren. Da Kinder und Jugendliche auch trotz Jugendschutzfilter früher oder später auf jugendgefährdende Inhalte treffen, sollten sich Sozialarbeitende vorher mit dem Thema auseinandersetzen und pädagogisch-didaktische Angebote zum Umgang mit jenen Gefahren entwickeln. Entsprechende Themen sind unter §4 JMStV unter dem Titel "Unzulässige Angebote" aufgelistet. Verkürzt gesagt, brauchen wir einen fachlichen, pädagogischen Umgang mit den Themen Propaganda, Hass, Gewalt und Pornografie.

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